Laudatio anlässlich der Vernissage/ Ausstellung von  Markus Lindinger                      "das Innere nach außen Spiegeln, am 07.10.2019, in der LfDBV Galerie München

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

der rasche flüchtige Blick wird uns nicht weiterbringen, nicht bei Kunst im Allgemeinen und nicht bei den Bildern von Markus Lindinger und je intensiver wir uns mit den Werken, mit seinen Werken beschäftigen, desto interessanter, desto vielschichtiger eröffnen sie sich uns.

Markus Lindinger ist bildender Künstler, kein Bildhauer – wie unschwer zu erkennen ist.  Er ist Maler. Und jetzt werden einige erstaunt sein, vielleicht Herr Lindinger selbst, und sie werden sich zu Recht fragen, aber wo ist der Pinsel, ja der Auftrag erfolgt  nur mit der Spachtel. Er ist, Bildermacher‘.  Sind seine Bilder nun erarbeitet und herstellt?

Wir stellen fest, Markus Lindinger ist kein Aquarellist, kein traditioneller Maler, der in Öl oder Tempera seine Bilder entstehen lässt. M.L. ist niemand, der seine Leinwand, seinen Bildrand mit der Spachtel ertastet, er ist jemand, der seine Bilder herstellt.

Auch müsste man vorab hinterfragen, ob ,malen‘ das Herstellen von Bildern mit Pinsel und Farbe ist, oder ob es doch eine Haltung, eine Einstellung zu dem Entstehungsprozess ist, eine Haltung bezüglich des Sehens und damit verbunden in Folge eine Haltung zu einem Bild, zu einem visuellen Ereignis, zu einem künstlerischen Werk.

Ist, Malen‘ ein Verb, das den Umgang mit jenen tradierten Werkzeugen unvermeidlich bedingt, oder ist, malen‘ ein übergeordneter Begriff für ein Anordnen von Farbe, von Flächen und Linien auf einem wie auch immer gearteten Malgrund? Muss der Malgrund zwangsweise Stoff, Holz grundiert oder Papier sein, wie wir es traditionellerweise kennen, oder kann es auch die Fläche sein die erarbeitet und mit bis zu 200 Schichten auf der Leinwand gestaltet wird?

Sprechen wir hier bitte nicht von einem normalen Farbauftrag mit Zugabe von Füllstoffen die einem die Möglichkeiten des Gestaltens überlassen oder je nach Wahl abnehmen? Heißt das nicht mit

anderen Worten, dass wir auch die Begrifflichkeit der Tätigkeit und deren Verwendung überdenken müssen? Niemand wollte dies in Zweifel ziehen, niemand denkt groß darüber nach.

Selbstverständlich weiß M.L., mit welchen Materialien er umzugehen hat. Aber am Ende geht es nicht um die lapidare Frage, wie hat der Künstler das Bild gemacht – diese Frage sollte auch von dem Betrachter schnell überwunden sein –, sondern es geht darum, was löst das Werk in dem Künstler, was löst das Werk in dem Betrachter aus. Wofür steht dieses Bild, was vermittelt es uns und wie definiert sich dieses Gegenüber? Die Frage der Herstellung wird dann hoffentlich schnell sekundär. Wenn wir uns lediglich fragen, wie hat er das gemacht, dann bleiben wir nur auf der Oberfläche, dann sind wir möglicherweise selbst nur oberflächlich.

Es geht darum, welche inneren Bilder evoziert das ausgestellte Bild, denn wir wissen über die Kunstbetrachtung, über die Interaktion zwischen Betrachter und Objekt, dass die Strecke zwischen Objekt und Betrachter entscheidend ist: Auf dieser Strecke entwickelt sich die Erkenntnis über das betrachtete Objekt.

Oder anders gefragt: Welches Gefühl, welche Atmosphäre weckt mich auf und was empfinde ich im gegenüber mit dem gezeigten Bilde? Welche Geschichte erzählt das Kunstwerk, was dokumentiert es oder wo führt mich das Ganze hin?  Oder noch anders formuliert: Welche Anregungen bekomme ich, und wie verführt mich das wie auch immer gemachte Bildnis?

Und schnell stellt sich die Frage: Wo kommt die Inspiration zu den Bildern von M.L. her? Was waren der Grund, die Aufregung, die Anregung? Waren es innere Welten oder die Natur, waren es Phantasiegespinste oder war es die uns umgebende, reale Welt‘? Ist es überhaupt notwendig, Bezüge bei den Bildern von M.L. zu einer wie auch immer gearteten Realität herzustellen?

Sicherlich wird jeder Einzelne von uns Schwerpunkte setzen in dem Umgang mit Bildern, mit einem Sujet oder den Möglichkeiten eines Kunstwerkes. Das wiederum hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, der Künstler grenzt unser Erleben ja im Vorhinein schon ein, er leitet uns absichtsvoll in eine Richtung.

Im Falle von M.L. werden wir auf eine Fährte gesetzt, die mit Räumlichkeit, Farbräumlichkeit, vielleicht auch mit Landschaft zu tun hat. Und da werden wir sofort sehen, es geht wiederum auch nicht darum, ob es eine Wiese oder eine Sandfläche, eine Aussicht oder eine Landschaft ist, sondern es geht darum, ob möglicherweise eben jenes Wesen der Wiese, des Sandfeldes auf eine neue von dem Künstler bearbeitete Art und Weise in uns, in unserem Empfinden, in unserem Denken evoziert werden kann. Es geht, um mit Kant zu sprechen, um das ‚Ding an sich‘, und es geht um die Frage, was bestimmt das Wesen der Dinge und wie kann ich dieses Wesen aus dem Gezeigten herausfiltern.

Mag sein, dass wir zunächst einen Anhaltspunkt, einen Aufhänger suchen, aber – wenn die Bilder es vermögen – wir diesen Anhaltspunkt gar nicht mehr benötigen. Dann werden wir frei von Vorgaben und wir sind in einem befreiten Sehen dem Wesen der Dinge näher als der puren Erzählung über vermeintlich Bekanntes.

Die Frage, die sich der Ästhet Lindinger stellt, und damit stelle ich ein weiteres Merkmal in den Vordergrund, ist nicht die Frage nach einer Botschaft: Wir finden keinen sozialistischen Realismus, keinen Surrealismus oder dergleichen. Auch referenziert ein Ästhetizismus sich nicht ausschließlich auf sich selbst, es ist kein bloßes Nachahmen einer Material-Ästhetik. M.L. zerlegt, zerreibt, schleift, bricht im wahrsten Sinne des Wortes das Motiv und fügt es auf komplizierte und zu höchst penible Art und Weise wieder zusammen.

Und damit komme ich zu der kreativen Leistung des Künstlers.

Diese Vorgehensweise, dieses Zerlegen und Zusammensetzen in der Kunst ist uns allen bekannt, sie ist nicht neu, sie ist über Jahrhunderte erprobt. Es ist die Vorstellung Goethes von Kunst, die davon berichtet, dass unser großes Vorbild Natur – in Einzelteile zerlegt und in einem Kunstwerk neu gestaltet zusammengesetzt – über den wahren Geist der Natur und deren Wesen berichtet.  Auf diese Weise wird das Zusammengeführte – so Goethe – erst zu der ,wahren Natur‘, weil sie von dem berichtet, was ihr zu eigen ist, und zwar auf eine neue vorab noch nie gesehene Art und Weise. Es ist die Tradition der Romantik, die Versatzstücke aus der realen uns umgebenden Natur hernimmt, um Neues entstehen zu lassen.

Es ist bei M.L die Suche nach einem Plan, nach einem, Blueprint‘, nach einer Matrix, die unsere Welt zusammenhält. Er zerlegt die Natur und setzt sie auf seine ihm gefällige Art

 

und Weise auf ein neues, ihm richtig erscheinendes Prinzip so wieder zusammen, dass die uns ständig umgebende Unsicherheit gebannt wird.

Goethe spricht über den Künstler, indem er schreibt:

„ [...] es verdrießt ihn, der Natur ihre Buchstaben im Zeichnen nur gleichsam nachzubuchstabieren; er [der Künstler] erfindet sich selbst eine Weise, macht sich selbst eine Sprache, um das, was er mit der Seele ergriffen, wieder nach seiner Art auszudrücken, einem Gegenstande, den er öfters wiederholt hat, eine eigne bezeichnende Form zu geben, ohne, wenn er ihn wiederholt, die Natur selbst vor sich zu haben, noch auch sich geradezu ihrer ganz lebhaft zu erinnern.“

M.L. sitzt nicht mit der Staffelei vor der Natur, vor dem Motiv, er steht zu Hause am seinen Maltisch und geht genau dieser beschrieben Tätigkeit nach.

„ […] Und wie die Meinungen über sittliche Gegenstände sich in der Seele eines jeden, der selbst denkt, anders reihen und gestalten, so wird auch jeder Künstler dieser Art die Welt anders sehen, ergreifen und nachbilden, er wird ihre Erscheinungen bedächtiger oder leichter fassen, er wird sie gesetzter oder flüchtiger wieder hervorbringen. Wir sehen, dass diese Art der Nachahmung am geschicktesten bei Gegenständen angewendet wird, welche in einem großen Ganzen viele kleine subordinierte Gegenstände enthalten. Diese letztere müssen aufgeopfert werden, wenn der allgemeine Ausdruck des großen Gegenstandes erreicht werden soll, wie z.E. [zum Exempel] bei Landschaften der Fall ist, wo man ganz die Absicht verfehlen würde, wenn man sich ängstlich beim Einzelnen aufhalten und den Begriff des Ganzen nicht vielmehr festhalten wollte.“

Soweit das Zitat.*)

Interessanterweise finden wir bei M.L die gleiche von Goethe beschriebene Vorgehensweise, allerdings – und dies ist ein entscheidendes Merkmal der Bilder von M.L. – gibt es hier keine unterschiedlichen Größen der einzelnen weggelassenen oder nachempfundenen dargestellten Objekte.

Das ist ein durch und durch kreativer Prozess, der Künstler ist sich seines Handwerkszeugs gewiss und er weiß es gemäß seiner Vorstellung, gemäß seiner kreativen Vorstellungskraft gezielt einzusetzen. Wir müssen lernen, dass es eine Generation geben wird, die den Rausch des Malens nicht mit tradierten Werkzeugen und Materialen haben wird.

Es ist das Werkzeug, es ist die Technik, die sich geändert hat. Das Empfinden des Künstlers dem Sujet gegenüber hat sich im Falle von M.L.– so schwer dies vielleicht nachzuvollziehen scheint – nicht geändert; im Gegenteil, er wendet eine uralte bekannte Methode an, er benutzt das Zerlegen und Zusammensetzen als ästhetische Vorgehensweise und besteht auf den gedanklichen Überlegungen, etwas Ganzes neu betrachten zu können, indem man es einer anderen neuen Ordnung unterwirft. M.L. ist ein Ästhet, der der Vielfalt der Möglichkeiten, welche uns bildnerisch umgeben, misstraut und der von Bild zu Bild versucht, in der Beschränkung eine Welt zu schaffen, die seinen künstlerischen Intentionen entspricht.

 

Dieses fortwährende Suchen zeichnet einen Künstler, eine Künstlerin aus: Es ist die Lust am Machen, es ist der Drang nach der Sensation des, Entstehen lassen‘, es ist die unendliche Suche nach einem, Glück‘ in und mit dem Bilde. Und ich wünsche uns allen, allen vorweg M.L., dass er sich weiter in der Zukunft aufmacht, seine Bilder zu suchen, auf dass er uns und natürlich sich selbst mit neuen Methoden, mit neuen Bildformen des ,Bilderfindens‘ beschenkt

Vernissage ist am Mittwoch den 13.11.2013 um 19.00h
Vernissage ist am Mittwoch den 13.11.2013 um 19.00h